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BRIEF EINES GASTARBEITERS AN SEINE FRAU:

#1
        Suleika, meine liebe Frau,

          ich nix mehr Arbeit hab auf Bau,
          auch Kollege schon entlassen.
          Polier sagt: Nix mehr Geld in Kassen.
          Doch Du nix denken, das sei schlimm,
          ich trotzdem froh und munter bin,
          denn Allah hat mich nicht verdammt,
          war gestern schon bei Arbeitsamt.
          Weil ich noch ein Jahr Aufenthalt,
          komm nicht nach Hause ich so bald,
          muss meiden noch Moschee und Tempel,
          zeig Arbeitsamt Papier - macht Stempel.
          Das ganze Arbeit, nix mehr bücken,
          und kann noch immer Geld Dir schicken.
          Hier scheint mir alles wie verhext:
          Brauch nur zu schlafen - Konto wächst.
          Und ganz bestimmt bis nächsten Winter
          zahlt Arbeitsamt mir Geld für Kinder.
          Ich bin jetzt schon drei Jahre fort,
          vielleicht hast Du noch Kinder dort,
          wo ich nix weiss? Ist ganz egal,
          Du musst mir melden nur die Zahl
          und schleunigst schicken mir nach hier
          von Arzt beglaubigtes Papier.
          Du sollst mal sehen, wie dann geht munter
          Einkommen rauf und Steuern runter.
          Heut Zahnarzt sagen: Ganz gewiss,
          bis Montag hab ich neu Gebiss,
          bis andern Mittwoch neue Brille,
          für alles Wehweh viel gut Pille,
          das alles mir macht sehr schön Spass,
          weil alles zahlt die Krankenkass.
          Wenn Ostern Oma kommt, will sehn,
          dass sie auch kriegt so schöne Zähn,
          damit nix warten muss bei Essen,
          bis Opa fertig hat gegessen,
          weil es doch immer besser iss,
          dass jeder hat sich selbst Gebiss.
          Wir sind hier kleiner Kolonie
          und spielen Karten oft bis früh.
          Isvicre, schönstes Land von Welt,
          nix Arbeit und viel Stempelgeld.
          Ich wohn in Altbau noch ganz nett,
          mit Wasser, Strom und auch Klosett;
          ist Zimmerchen auch ziemlich klein,
          fühl ich mich wohl als wie daheim.
          Und Hausbesitzer lässt mit walten,
          kann mir sogar Kaninchen halten;
          war erst heut morgen noch eins krank,
          habs rausgeholt aus Kleiderschrank,
          hab den ganzen Tag es noch bewacht
          und dann am Abend notgeschlacht,
          es gleich verkauft dann wieder weiter,
          an einen Freund, auch Gastarbeiter.
          Hast Du auch unser Zelt geflickt
          von Geld, was ich Dir hab geschickt?
          Halt Einsamkeit noch ein Jahr aus,
          dann bring ich Geld und baue Haus.
          Vermiete Zelt dann mit viel List
          an Schweizer, die dann als Tourist
          will wohnen in Nomadenzelt,
          weil ihnen das so gut gefällt,
          will wandern viel in Wüstensand,
          weiss nicht, wie schön ist eignes Land.
          Und nun ich machen Brief jetzt Schluss,
          will senden Dir ganz viel Gruss.
          Bleib schön gesund, grüss alle Lieben,
          sag ihnen: Ali hat geschrieben
          aus Schweiz, ist schönstes Land der Welt,
          wo man für Faulheit kriegen Geld.
          Grüss auch Kollegen dort in Beiz
          sie sollen kommen hier in Schweiz.
          Vorbei ist Armut, Not und Hungern,
          weil sie in Teestub können lungern;
          und wenn durchschaut man dieses Spiel,
          können machen sie Asyl
          und bleiben weiter ohne Not,
          weil doch noch lang nicht voll das Boot!
 
Das Leben ist ein weisses Blatt, die Farben sind in Dir. Mal es schön bunt und leuchtend.
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