13.09.2016, 09:09
Meine geheimnisvolle Verwandlung vollzog sich an einem ganz normalen Montag, nachmittags 17.46 Uhr MEZ, von einer Minute auf die andere. Aus der Spezies „Frau“ (Weiblich, besondere Kennzeichen: leichtsinnig, fröhlich bis albern, sinnlich, kapriziös, attraktiv, witzig, mit einem Hang zum Luxus und zum schönen Phlegma) wurde die Gattung „das Mutti“ (besondere Kennzeichen: bieder, belastbar, besorgt, ernsthaft, genügsam, nervös, 24 Stunden voll im Einsatz).
Das Mutti ist streng geschlechtsneutral und kommt überall auf der Welt vor: Gehäuft auf Kinderspielplätzen. Zu erkennen ist das Mutti an seiner bellenden oder schrillen Tonlage: „Stefan, sofort runter da, sonst setzt es etwas!!“, und an einem rastlosen Betätigungsdrang (bevorzugte Tätigkeiten: stricken, Rotz abwischen, Backe-backe-Kuchen-machen, Mützen ab- und aufsetzen, Apfelsinen schälen, Fläschchen schütteln, Küsschen oder Knüffe verteilen).
Sitzt das Mutti wider Erwarten mal ganz ruhig da, ist zumindest ein Fuß in Bewegung: er schaukelt den Kinderwagen. Das Mutti tritt selten allein auf, sondern ist meist rudelweise von seinen Jungen umgeben. Sind diese noch klein, trägt das Mutti sie in einer textilen Ausbuchtung vor dem Bauch oder Rücken (ähnlich dem australischen Känguru, jedoch bewegt sich das Mutti nur
selten hüpfend vorwärts). Wenn die Jungen größer sind und aufrecht gehen können, übt es geduldig die Tätigkeit des „Spazierenstehens“ aus. Während das Mutti-Junge sich im Matsch suhlt, jedes Steinchen auf seine Verwendbarkeit untersucht, Grashalme frisst oder tiefsinnig sein Spiegelbild in Pfützen betrachtet, bleibt das Mutti einfach stehen. So verbringt es einen Großteil seiner Zeit, in Kälte und Nässe ausharrend, stumm, schicksalsergeben.
Mutti ist Frau nicht von Geburt an, zum Mutti wird sie gemacht. Viele Frauen bezeichnen diesen Hergang als äußerst lustvoll, wahrscheinlich gibt es deshalb noch einige von ihnen. Manche machen sich nicht klar, was die Mutti-Metamorphose bedeutet. Auf jeden Fall ist es ein irreversibler Prozess: einmal Mutti – immer Mutti. Was sich auch darin ausdrückt, dass manche „Vatis“ (männlich, besondere Kennzeichen: oft aushäusig, meist paschamäßig auf Draht und windelmäßig unerfahren, auch – oder gerade – nach der Geburt der Jungen unentwegt um die begehrenswertere Spezies „Frau“ herumbalzend) es fortan neutral „Mutti“ zu nennen.
Für die Aufzucht (siehe auch „Sozialisation“) sind stets wir Muttis allein zuständig – eine Aufgabe, in der wir für den Rest unseres Lebens aufzugehen haben. Durchdrungen von der existentiellen Wichtigkeit des Brutpflegetriebs, werden die Muttis offensichtlich jahrelang zu Höchstleistungen angetrieben. Einem Mutti – und darin erweist sich die ausgesprochene Widerstandsfähigkeit dieser äußerlich schutzbedürftigen, innerlich aber erstaunlich zähen Gattung – macht es nichts aus, drei bis viermal pro Nacht das warme Nest zu verlassen, um die brüllenden Jungen mit Nahrung zu versorgen. Ein Mutti ödet es nicht an, täglich den immergleichen Brei zu bereiten und den immergleichen Spielplatz mit den immergleichen Mit-Muttis aufzusuchen und dort die immergleichen Gespräche zu führen. Wer sich als Artfremder mit uns Muttis unterhalten will, fühlt sich binnen kurzem außen vor. Haben wir Muttis doch eine Art von Geheimcode entwickelt, mit dem wir uns mühelos untereinander verständigen: Da wimmelt es plötzlich von Worten wie Strapelpeterfixies, Paidi, Peaudoux oder Osh-Kosh, es gibt Duplos, den Sauggli, den Schniedelwutz oder den Pipi-Mann, die Tut-tut-Bahn, das Tatü-Tata und das Hoppe-Hoppe; da schwirren so exotische Begriffe durch die Luft wie „Agrar-Test“, „Phimose“, „Ur-Vertrauen“, „rechtsdrehender Joghurt“ oder „Drei-Monats-Koliken“…… Kurz: Besonders Jung-Muttis, die sich in ihrem Dasein als Frau profiliert haben, indem sie ihr Abi mit „Eins“ und ihr Examen mit „cum laude“ gemacht haben, machen in der Regel eine seltsame intellektuelle Regression durch.
Wie alle Muttis dieser Welt verfallen sie in eine Art frühkindlicher Stammel-Sprache, deren Hauptbestandteil das Diminutiv ist („Will Dodolein jetzt Heia-Heia machen? Aber erst kriegt Dodolein noch ein Küssilein….“). Die Mutti-Metamorphose ist in allen Bereichen des täglichen Lebens spürbar. Statt „Die Liebe in den Zeiten der Cholea“ Liest das Mutti jetzt „Die Häschenschule“, statt raffiniertem „Kaninchen in Senf-Sauce“ bereitet es gesunden salzlosen Blumenkohl, statt zu „Cabaret“ geht es ins Kindertheater zu „Peterchens Mondfahrt“ und beim Shopping suchen wir nicht nach getupften Ballon-Rock für uns, sondern nach einer strapazierfähigen Latzhose für das Jüngste, genügsam wie wir nun mal sind.
Am verblüffendsten aber ist die optische Verwandlung des Muttis. Knallenge Calvin-Klein-Jeans, spitzenbesetzte BH´s unter schimmernden Seidenblusen, verführerische Stöckel oder ausgeflippte 50er-Jahre-Klamotten – alles passe. Das Mutti, ewig mit Brei bekleckert und ewig in Zeitnot, hat sein farbenfrohes Kleid abgelegt, mit dem es einst Vati zur Balz aufforderte. Bequeme Jeans, Turnschuhe, ein weites Sweatshirt – so etwa sieht der Einheitslook des mitteleuropäischen Mutti-Tiers aus. Verhaltensforscher sprechen inzwischen schon von einem deutlich ausgeprägten „Mimikry-Effekt“: je grauer und eintöniger der Alltag des Mutti zwischen Küche-Kacke-Kindergarten ist, desto grauer und einfallsloser kleidet sie sich.
Und Vati? Vati, der all das gewollt und verursacht hat? Vati schmollt. Er fühlt sich, zumindest im ersten Jahr, um all das betrogen, was ihm bis dahin lieb und teuer war, seine ungestörte Nachtruhe. Sein geregeltes Sexualleben. Seine spontanen, ausgedehnten Kneipen-Touren. Seine saubere, untadelig aufgeräumte Wohnung. Seine stets perfekt angezogene Vorzeige-Frau. Seine Vorrangstellung im Herzen derselben. Stattdessen sitzt er da mit diesem völlig fremden Wesen, dem Mutti, und leidet unter dem sogenannten „Baby-Speck“ – Symptome: nächtliche Schweißausbrüche bei der ersten lautstarken Unmutsäußerung des Babys, ein heftiges, langanhaltendes Gefühl der Unzugänglichkeit dem Mutti gegenüber („Was zum Teufel ist „teiladaptierte Milch….?“) und des Ausgeliefertseins, das oft klaustrophobische Züge annimmt („Hier komm´ ich nie mehr raus, das geht jetzt zwanzig Jahre lang so weiter….“), nie gekannte seelische Wechselbäder von unbändigem Stolz bis zur ohnmächtigen Wut. Unter dieser Schockeinwirkung – also im Stadium der Unzurechnungsfähigkeit – erliegen manche Väter gern der nächstbesten Versuchung, deren Name „Weib“ ist, und trennen sich von Mutti. Doch es nützt alles nichts. An einem x-beliebigen Mittwoch, um 13.34 Uhr, ist es mal wider soweit: ein zarter Schrei – und wieder ist ein Mutti geboren.
Autor unbekannt
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Das Leben ist ein weisses Blatt, die Farben sind in Dir. Mal es schön bunt und leuchtend.